Cloud-Plattform und Inline-Qualitätskontrolle

Das Internet der Werkzeugzwillinge

Digitalisierungsbestrebung in der Zerspanung gehen oftmals von Maschinen-, Steuerungs- oder Softwareanbietern aus. Ansätze zur Prozessoptimierung stellt diesmal ein Werkzeughersteller vor: eine akustische Inline-Qualitätskontrolle mit dazugehöriger Cloud-Plattform.
8. September 2023
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Das akustische In-line-Qualitätskontrollsystem ‘SonicShark’ kann seine Daten auf der Cloud-Plattform CEW ablegen und teilen© Hufschmied
von Marcus Planckh
Unter dem Namen ‘Cutting Edge World’ (CEW) hat Hufschmied Zerspanungssysteme eine in deutschen Rechenzentren gehostete sichere Cloud-Plattform für den Datenaustausch zur Optimierung der Werkzeugnutzung eröffnet. Sie ergänzt das im vergangenen Jahr vorgestellte Qualitätskontrollsystem ‘SonicShark’. Der Hintergrund: Beide Angebote zusammen führen ein Konzept zur Marktreife, das Hufschmied mit der Universität Augsburg, BMW und anderen im Projekt ‘Mai ILQ2020’ entwickelt hat.

Das Ohr an der Maschine

Klangunterschiede in der laufenden Zerspanung geben erfahrenen Maschinenbedienern Rückschlüsse auf den Prozess. Sie hören, wenn ein Werkzeug verschlissen ist oder ein Rohling einen Fehler hat. Weil in der spanenden Fertigung aber nicht in jeder Schicht und an jeder Maschine so ein ‘Maschinenflüsterer’ zugegen sein kann, um Probleme frühzeitig ‘herauszuhören’, hat Hufschmied ein Expertensystem namens ‘SonicShark’ entwickelt. Es weist über akustische Abweichungen vom erlernten Sollzustand frühzeitig auf Mängel im Fertigungsprozess hin.
Das Unternehmen ist bekannt für seine werkstoffoptimierten Werkzeuge – beispielsweise für CFK und GFK – hat aber auch vielfach unter Beweis gestellt, dass zur Prozessoptimierung Maschinenparameter, Werkzeugwege und Werkzeuge mit dem Werkstoff und dem Werkstück in Einklang gebracht werden müssen. Wie dieser Einklang klingt, hat Hufschmied erforscht.

Körperschall und lernende Software

Je nach Größe des Werkstücks, für das die Inline-Qualitätskontrolle realisiert werden soll, werden ein oder mehrere Körperschallsensoren am Werkstück angebracht. Ein Rechner neben der CNC-Maschine sammelt die Sensordaten. Im ersten Schritt ist es nötig, die lernfähige Software zu trainieren. Zur Festlegung einer Referenzakustik werden die Geräusche registriert, die bei der Zerspanung des Werkstücks mit einem neuen Werkzeug unter optimalen Bedingungen entstehen.
Diese Soll-Daten werden dann mit den Ist-Daten der jeweiligen Bearbeitung verglichen, über die Maschinendaten in Bezug zum Bearbeitungsprozess gesetzt, ausgewertet und auf einem Bildschirm visualisiert. Ergeben sich Abweichungen jenseits festgelegter Schwellwerte, erfolgt eine Warnung.
Auf der CEW-Plattform definiert Hufschmied etwa, welche Daten zu einem Werkzeugtyp für andere Nutzer sichtbar sein sollen © Hufschmied
In der Praxis müssen die Signalverläufe der Bearbeitungsprozesse nicht mühsam pro Werkzeug angelernt werden, denn Hufschmied liefert auf der Basis der Einsatzdaten und Richtlinien der Werkzeugnutzung gleich die individuellen Sensor-Soll-Signale für seine Werkzeuge mit. Die digitale Akte mit diesen Informationen kann der Anwender über den QR-Code des Werkzeugs von der Cloud-Plattform abrufen.
Durch die Überwachung des Körperschalls lassen sich Rückschlüsse auf eine ganze Reihe von Aspekten über jeweils typische Frequenzbänder ziehen: Werkzeugzustand, Antrieb, Aufspannung und Frässtrategie zeigen durch Abweichungen in den Geräuschen veränderte Bedingungen an.

Fehler frühzeitig finden

Ein direkter Vorteil ist die Erkennung von Abnutzungserscheinungen am Werkzeug. Normalerweise qualifizieren Unternehmen Werkzeuge in Standzeittests und legen Sicherheitsreserven fest.
Diese Reserve wird oft sehr großzügig gewählt, um Qualitätsproblemen oder Unterbrechungen der laufenden Fertigung aus dem Weg zu gehen. Bei Hufschmied schätzt man, dass im Schnitt etwa 40 Prozent der so qualifizierten Werkzeuge länger hätten laufen können. Tests haben ergeben, dass ‘SonicShark’ den Verschleiß bis hin zu Vorzeichen von Werkzeugbruch und Schneidenbruch zuverlässig erkennt. Damit einher gehen Standzeiten, die das Kontrollsystem mit Ungenauigkeiten von nur ±3 Prozent vorhersagt.
In der Praxis heißt das: Durch die Echtzeitüberwachung wird die Gefahr von Ausschuss verringert, der durch ein vorzeitig verschlissenes Werkzeug entstehen würde. Zugleich lassen sich Werkzeuge ohne Risiko länger nutzen und trotzdem rechtzeitig wechseln.

Plattform für den Datenaustausch

Mit ‘SonicShark’ gewinnt man aussagekräftige Daten zu Werkzeugen und Prozessen. Damit diese nicht nur lokal vorliegen, hat Hufschmied die Cloud-Plattform ‘Cutting Edge World’ (CEW) eingerichtet. Die Möglichkeit, diese zur Dokumentation zu nutzen, steht auch Anwendern offen, die die Online-Qualitätskontrolle nicht nutzen.
Der Grund: Auch Hufschmied ‘füttert’ CEW mit Daten. Der Anwender verfügt dadurch über eine Datenbank mit allen von ihm verwendeten Hufschmied-Werkzeugen und kann hier etwa die Standzeiten und zerspanten Materialien notieren, um im Laufe der Zeit immer mehr über das Verhalten der Werkzeuge zu lernen. Doch die CEW ist weit mehr als ein Speicherort für Prozessdaten. Die Plattform dient auch dem Datenaustausch zur Optimierung der Werkzeugnutzung.
Die ausführliche Qualitätskontrolle bei Hufschmied mit einem verfeinerten Messverfahren an mehr als 90 Messpunkten der Fräserkonturen kam bereits in der Vergangenheit den Anwendern ausgewählter Werkzeuggruppen mit Endmaßbeschriftung zugute. Jetzt stellt der Hersteller die Endmaße und dxf-Daten jedes einzelnen ausgelieferten Werkzeugs in der Cloud zur Verfügung – ein Barcode auf dem Werkzeug ermöglicht den Abruf.
Hier definiert ein Anwender, welche Maschinendaten er mit seinem Werkzeughersteller teilen möchte© Hufschmied

Digitale Zwillinge im Einsatz

Anwender können via Barcode und Cloud-Plattform das Messprotokoll abrufen und sparen sich so die Eingangskontrolle. Sie erhalten zudem einen digitalen Zwilling ihres aktuell vorliegenden individuellen Werkzeugs – auf der CEW-Plattform als Werkzeuginstanz bezeichnet – den sie beispielsweise in der CAM-Programmierung und Bearbeitungssimulationen nutzen können.
Hufschmied nutzt den Cloud-Speicherort zur Freigabe von Werkzeugdaten, und auch die Anwender können Standzeiten und protokolliere Prozess- und Maschinendaten teilen – zwischen Werken, mit dem Werkzeughersteller, mit Materiallieferanten oder Maschinenherstellern. Wer das Verhalten seiner Maschinen und Werkzeuge bei bestimmten Materialien und Formen studiert, vermeidet Probleme frühzeitig und braucht weniger Sicherheitsreserven.
Diese Erkenntnisse mit Hufschmied zu teilen, gibt dem Werkzeughersteller wertvolle Einblicke in das Leben seiner Produkte nach der Auslieferung. Mit dem Feedback für seine Qualitätskontrolle kann er die Angaben zum optimalen Einsatz seiner Werkzeuge verfeinern.

Daten kontrolliert zur Prozessoptimierung teilen

Die Daten auf der CEW-Plattform sind grundsätzlich privat. Ein externer Zugriff auf Daten in der Hufschmied-Cloud muss jeweils explizit autorisiert werden. So wie bei Hufschmied im System ein Häkchen gesetzt wird, um einem Kunden zusätzliche Werkzeugdaten zur Verfügung zu stellen, können Kunden beispielsweise anonymisierte Schnittdaten freigeben, oder auch nur Standzeit und bearbeitetes Material für eine Werkzeuginstanz hinterlegen. Für intensivere Zusammenarbeit in der Prozessoptimierung können auf der Plattform auch einzelne Projekträume eingerichtet werden.
Ein zusätzlicher Sicherheitsaspekt ist die Tatsache, dass Schnittdaten, ‘SonicShark’-Protokoll und Informationen zum bearbeiteten Material zusammen sehr aufschlussreich für die Prozessoptimierung sind, dabei aber keine Rückschlüsse auf die 3D-Daten des Werkstücks zulassen. Die Möglichkeit, anhand geteilter Daten gemeinsam Zerspanungsprozesse zu verbessern, wird bereits von einem großen Kunden aus der Automobilbranche genutzt.
Ein anderes Beispiel für die Verwendung ist ein aktuelles Projekt, bei dem Hufschmied für einen Kunden Probebearbeitungen eines anspruchsvollen CFK-Bauteils durchführt. Dank digitaler Zwillinge von Bauteil und Werkzeug, ‘Sonic-Shark’- und Maschinendaten in der CEW-Cloud ist dies ein komplett digitalisiertes und aus der Ferne nachvollziehbares Optimierungsprojekt.
Man könnte sagen: IoT steht ab sofort in der zerspanenden Fertigung auch für das ‘Internet of Tools’.
Information & Service

Hersteller

Hufschmied Zerspanungssysteme GmbH
86399 Bobingen
Tel. +49 8234 9664–0
www.hufschmied.net

Autor

Marcus Planckh M.A. ist Redakteur bei der Hightech Communications GmbH in München
info@htcm.de