Werkzeugspanntechnik

Den Gesamtprozess betrachten

Nachhaltigkeitsbetrachtungen sind derzeit ‘in‘. Da bilden die Zerspanung und das dafür verwendete Equipment keine Ausnahme. Gern werden einzelne Elemente – zum Beispiel die Werkzeugspannung – betrachtet. Doch wer wirklich nachhaltig agieren möchte, sollte sich nicht zu sehr auf solche Details fokussieren, da er sonst womöglich Vorteile im Gesamtprozess übersieht.
27. Dezember 2023
Andreas Haimer, President der Haimer Group, setzt auf Nachhaltigkeit. Haimer: „ Auf der EMO haben wir mit dem Haimer Hybrid Chuck eine Weltneuheit vorgestellt. Das Produkt vereint die schwingungsdämpfenden Eigenschaften eines Hydrodehnspannfutters mit denen eines hochpräzisen Hochleistungsschrumpffutters und eröffnet dadurch viele Möglichkeiten, den Zerspanungsprozess noch effizienter und nachhaltiger zu gestalten“© Haimer
Nachhaltigkeit ist ein Thema, das die Fertiger völlig zurecht mehr und mehr beschäftigt. Die Ressourcen sind begrenzt, und Energie wird immer teurer. Bei der Bewertung von Nachhaltigkeit gilt es, den Fokus nicht zu eng auf ein Produkt zu richten, sondern auch das Umfeld zu betrachten – den Produktlebenszyklus und auch den Gesamtprozess, in den das betrachtete Produkt eingebunden ist.

Wie sieht Nachhaltigkeit in der Zerspanung aus?

Die Metallzerspanung hat viele Facetten. Abhängig vom Werkstoff, von der Bauteilgeometrie und von den Stückzahlen kommen unterschiedlichste Maschinen, Werkzeuge und Spannmittel zum Einsatz. Zudem sind äußere Umstände wie der Produktionsstandort, die Qualifikation der Mitarbeiter und auch eine mögliche Automatisierung zu beachten. So gibt es viele verschiedene Fertigungsmöglichkeiten, die je nach Einzelfall die beste, wirtschaftlichste und nachhaltigste Lösung sein können. Hier nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, ist schwierig.
Wie bemisst sich Nachhaltigkeit? Wenn man von den verwendeten Werkstoffe absieht, dürfte die Energieeffizienz der wesentliche Faktor sein, der einen nachhaltigen Prozess bestimmt. Daher ist ein vielversprechender Ansatz, nach den größten Verbrauchern Ausschau zu halten und deren Einsatz zu optimieren.

Die Werkzeugmaschine bietet Einsparpotenzial

In der Zerspanung ist dies zweifellos die Werkzeugmaschine, die mit ihren Spindel- und Achsantrieben, mit Peripherie und Nebenaggregaten wie Kühlung, Schmierung oder Druckluftversorgung einen Löwenanteil der eingesetzten Energie verschlingt.
Bei Neuanschaffungen kann der Anwender den Verbrauch erheblich senken, in dem er auf energiesparsame Komponenten achtet. Andreas Haimer, Geschäftsführer und President der Haimer Group, nach eigenem Bekunden Marktführer im Bereich Werkzeugspanntechnik, erklärt: „Wir haben in unserer eigenen Fertigung die Erfahrung gemacht, dass durch den Austausch eines alten gegen ein neues Bearbeitungszentrum mit dem gleichen Bearbeitungsprozess rund 30 Prozent weniger Energie benötigt wurden.“
Er ergänzt noch einen grundsätzlichen Faktor: „Als Familienunternehmen achten wir sehr stark auf Nachhaltigkeit. Zum Beispiel beziehen wir unseren Werkzeugstahl aus Deutschland, setzen seit Jahren ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien ein und investieren in PV-Anlagen und grüne Infrastruktur. Gesamt haben wir hierfür im letzten Geschäftsjahr über eine Million Euro investiert und über 250 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart.“
Im Jahr 2023 investierte Haimer mehr als eine Million Euro in die ökologische Infrastruktur. Unter anderem wurde die Photovoltaik-Anlage auf weitere Gebäude ausgedehnt und auf LED Leuchten umgerüstet. Damit werden pro Jahr mehr als 250 Tonnen an CO2 eingespart© Haimer

Die Energiekosten von 150 auf 5 Euro reduziert

Zurück zum Maschinenpark, wo sich nicht jedes etwas ältere Bearbeitungszentrum durch ein neues ersetzen lässt. Auch im Zerspanungsprozess lassen sich Einsparungen erzielen, zum Beispiel durch den Einsatz CAD/CAM-optimierter Bearbeitungsstrategien wie trochoidales Fräsen. Andreas Haimer hat ein konkretes Beispiel parat: „Ein Kunde stellte uns Daten zur Verfügung, wie er durch trochoidales Fräsen mit unseren Haimer-Power-Schrumpffuttern und Haimer-Mill-Fräsern die Bearbeitungszeit im Vergleich zur Bearbeitung mit einem Messerkopf um 75 Prozent von 71 auf 18 min pro Bauteil senken konnte.“
Mit der Änderung der Bearbeitungsstrategie sei eine Energieeinsparung durch deutlich weniger Stromverbrauch einhergegangen. Haimer: „Während bei der herkömmlichen Bearbeitung mit Messerkopf für zehn Bauteile die Spindellast bei 80 bis 85 Prozent lag und dadurch die Energiekosten bei insgesamt etwa 150 Euro, konnten mit der trochoidalen Frässtrategie bei einer Spindellast von 8 bis 10 Prozent und bei deutlich geringerer Maschinenlaufzeit die Energiekosten auf insgesamt 5 Euro für zehn Bauteile gedrückt werden. Das bedeutet wiederum eine höhere Ausbringung bei geringerem Energieaufwand je produziertem Teil – das nenne ich nachhaltig und effizient.“

Die Nachhaltigkeit der Werkzeugspannung

Eine Frage, die seit einigen Monaten immer wieder aufgegriffen und diskutiert wird, lautet: Wie nachhaltig ist welche Werkzeugspannmethode? Angesichts eines Bearbeitungsprozesses, bei dem die Fräsmaschine durchschnittlich etwa 30 kW verbraucht, zuzüglich der Leistung von hydraulischen und pneumatischen Vorrichtungen, von Automatisierungseinrichtungen sowie Robotern, spielt die Werkzeugspannung nur eine untergeordnete Rolle. Denn wie man bei Haimer betont, ist die Werkzeugaufnahme ein vergleichsweise kleines Detail, selbst wenn der Spannvorgang mit einem Schrumpffutter marginal Energie verbraucht.

Eine gesamtheitliche Betrachtung

Der Energieverbrauch beim Schrumpfen ist im operativen Einsatz höher als beim hydraulischen Spannen. Wenn man den gesamten Produktlebenszyklus einer Spannaufnahme betrachtet, zu dem die Herstellung, Wartung und Entsorgung zählen, ergibt sich ein ganz anderes Bild, geben die Fachleute von Haimer zu bedenken.
So benötige die Herstellung eines Hydrodehnspannfutters aufgrund des komplizierteren Aufbaus deutlich mehr Aufwand und Energie, denn zur hochpräzisen Zerspanung einzelner Komponenten komme noch das Einlöten der Dehnhülse, eine zusätzliche Wärmebehandlung, damit die Lötstelle nicht bricht, sowie der Aufwand für Reinigung, Montage und das Befüllen mit Öl hinzu.
Haimer hat ein sehr breites Angebot an verschiedenen Werkzeugaufnahmen, darunter vielerlei Schrumpffutter, aber auch Hydrodehnspannfutter. Auf der EMO zeigte der Hersteller diverse Neuheiten zu diesen Spannprinzipien© Haimer
„Aus unserer Erfahrung ist der energetische Aufwand bei der Produktion rund dreifach so hoch wie beim Schrumpffutter“, erklärt Andreas Haimer. „Wir haben in unserem breiten Portfolio neben Schrumpfaufnahmen auch Hydrodehnspannfutter, deren Listenpreise aufgrund der aufwendigen Herstellung allerdings beim Zwei- bis Dreifachen eines Schrumpffutters liegen. Für bestimmte Anwendungen sind sie die richtige Lösung. Nur nachhaltiger sind sie nicht. Unsere Analysen haben ergeben, dass ein Hydrodehnspannfutter in der Herstellung ungefähr 25 kWh mehr Energie benötigt als ein Schrumpffutter. Im Umkehrschluss bedeutet das auf den Produktlebenszyklus bezogen, dass man eine Schrumpfaufnahme bei einem Energiebedarf von 0,026 kWh pro Schrumpfung und Kühlung fast 1000mal schrumpfen kann, bevor man mehr Energie benötigt als beim Hydrodehnspannfutter.“

Lebenszyklus und Prozesssicherheit sind entscheidend

Zum erhöhten Herstellungsaufwand kommt laut Haimer noch der Unterschied bezüglich der Wartung. Während, wie es heißt, Haimer-Schrumpffutter durch die besonders hohe Güte des Warmarbeitsstahls wartungsfrei sind und in Kombination mit der patentierten Haimer-Spulen- und Gerätetechnik unbegrenzt oft ein- und ausgeschrumpft können, müssten Hydrodehnspannfutter aufgrund des Verschleißes zur Kontrolle der Spannkraft, der Schmierung der Spannschraube und einer regelmäßigen Wartung des Futters spätestens alle zwei bis drei Jahre zurück zum Hersteller. Die enthaltene Hydraulikflüssigkeit mache auch die umweltgerechte Entsorgung schwieriger als bei Schrumpfaufnahmen, die keinerlei zusätzliche Komponenten enthalten.
Neben dem Lebenszyklus weist auch das Thema der Prozesssicherheit signifikante Unterschiede auf, so Haimer. Schließlich bestehe im Falle der Trockenbearbeitung oder mangelnder Kühlung im Zerspanungsprozess bei Hydrodehnspannfuttern aufgrund der hohen Hitzeentwicklung die Gefahr des Platzens der Spannkammern samt Werkzeugauszug und Ausschussrisikos. Schrumpffutter seien hier robuster und strapazierfähiger; will man einen Werkzeugauszug komplett ausschließen, gibt es bei Schrumpffuttern optional das Haimer-Safe-Lock-System für eine hundertprozentige Sicherheit, wie man in Igenhausen versichert.

Der Energieverbrauch relativiert sich

Doch wie berechnet sich der Energieverbrauch beim Schrumpfvorgang wirklich? Das Erwärmen eines Schrumpffutters dauert mit einem aktuellen Haimer Schrumpfgerät etwa 5 s. Geübte Anwender schrumpfen in einem Arbeitsgang ein verschlissenes Werkzeug aus und ein neues Werkzeug ein. Es wird also nur einmal erwärmt und gekühlt. Die Leistung eines Haimer-Power-Clamp-Geräts mit der patentierten NG-Spule liegt bei maximal 13 kW, im Durchschnitt jedoch bei 8 kW. Damit verbraucht man bei einem einzelnen, kompletten Schrumpfvorgang etwa 0,011 kWh.
Hinzu kommt das Kühlen mit etwa 0,015 kWh – obwohl bei Haimer-Geräten bis zu fünf Aufnahmen parallel und in der gleichen Zeit mit dem nahezu gleichen Energieverbrauch gekühlt werden können. Im Worst case ergeben sich also summa summarum 0,026 kWh für den gesamten Prozess. Wenn eine Kilowattstunde 20 Cent kostet, fallen für das Schrumpfen und Kühlen eines Werkzeugs marginale 0,5 Cent an.
Der neue Haimer Automation Cube One mit Siemens-Sinumerik-One-Steuerung, der innerhalb von 60 s ein Werkzeug aus- und einschrumpfen, vermessen und die Daten zur Maschine und in Datenbanken transferieren kann, ist eine massive Roboterzelle für den 24/7-Betrieb. Vor allem der Projektpartner Siemens unterstützte vollumfänglich, schnell und kompetent, sodass das Projekt in Rekordzeit realisiert werden konnte. Hinsichtlich der Werkzeugschnittstelle kann die neue Zelle bis zu drei verschiedene Schnittstellen gleichzeitig managen, und bis zu elf Achsen übernehmen das Teilehandling© Haimer

Optimierte Frässtrategien sparen zwei Drittel Zeit ein

Und wie ist der Energieaufwand einzuordnen, wenn man den Bearbeitungsprozess betrachtet, bei dem die Leistungsaufnahme einer Fräsmaschine mit allen Hilfsantrieben rund 30 kW beträgt? Gesetzt den Fall, dass ein Werkzeug etwa eine Stunde im Einsatz ist und dass durch die hohe Rundlaufgenauigkeit und Steifigkeit oder durch die aufgrund der schlanken Kontur verbesserten Frässtrategien sich auch nur ein Prozent der Bearbeitungszeit einsparen lässt, wären das 0,3 kWh an eingesparter Energie. Das ist ungefähr der elffache Wert des Energieeinsatzes für das Schrumpfen.
Andreas Haimer fasst zusammen: „Der Energieverbrauch pro Spannvorgang spielt eine vernachlässigbare Rolle im Vergleich zu den Themen Lebenszyklus, Prozesssicherheit und Bearbeitungsstrategie. Durch moderne CAD/CAM-optimierte Frässtrategien können 75 Prozent Bearbeitungszeit eingespart werden. Auf derart verbesserte Prozesse müssen sich Zerspaner konzentrieren, wenn sie nachhaltig und produktiv sein wollen. Und im zweiten Schritt sollten sie für diese Strategien die am besten geeignete und prozesssicherste Werkzeugaufnahme auswählen. Gegenüber den dadurch realisierbaren Einsparungen ist ein Nachhaltigkeitsvergleich von Schrumpf- und Hydrodehnspannfutter eine Erbsenzählerei.“
Über Haimer
Haimer ist ein familiengeführtes mittelständisches Unternehmen im bayerischen Igenhausen bei Augsburg. Es entwickelt, fertigt und vertreibt innovative, hochpräzise Produkte für die Metallzerspanung, unter anderem für die Branchen Automobil, Luft- und Raumfahrt, Energie, Schienenverkehr und allgemeiner Maschinenbau. Zum Produktprogramm zählen neben verschiedensten Werkzeugaufnahmen in allen gängigen Schnittstellen und Längen Schneidwerkzeuge aus Vollhartmetall, Maschinen im Bereich der Schrumpf- und Auswuchttechnik sowie 3D-Messgeräte und auch Werkzeugvoreinstellgeräte der Haimer Microset.
Von den 800 Mitarbeitern weltweit arbeiten rund 500 am Fertigungsstandort in Igenhausen mit modernem Maschinenpark und hohem Automatisierungsgrad bei großer Fertigungstiefe. Am zweiten Produktionsstandort in Bielefeld werden mit 50 Mitarbeitern die Haimer-Microset-Voreinstellgeräte gebaut. Als aktiver Ausbildungsbetrieb mit mehr als 50 Auszubildenden und einer hohen Übernahmequote sichert sich Haimer sein künftiges Fachkräftepotenzial und leistet seinen Beitrag zur Weiterbildung junger Menschen sowie zur Zukunftssicherung des Standortes. Als ein europäischer Marktführer im Bereich Werkzeugspanntechnik mit einer täglichen Kapazität von etwa 4000 Werkzeugaufnahmen ist Haimer der technologische Vorsprung der Produkte sehr wichtig; deshalb werden jährlich zwischen 8 und 10 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung investiert.