Reorganisation einer Produktion
Durchgängig digitalisiert
Die Sistag AG hat die Potenziale von Bits und Bytes erkannt, denn das Schweizer KMU nahm im Zuge der Modernisierung eines flexiblen Fertigungssystems von Fastems seine Fertigung in puncto Digitalisierung unter die Lupe – mit interessanten Erfahrungen und ambitionierten Plänen.
4. Dezember 2023
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von Martinus Menne
Die weltweit agierende Sistag AG mit Sitz in Eschenbach (Kanton Luzern) stellt Armaturen für die Wasserversorgung und Industrie her. „Darüber hinaus sind wir auf Flachplattenschieber spezialisiert, die unter dem Markennamen ‘Wey Valve‘ bekannt sind und unter anderem in der Petrochemie, Ölförderung und im Bergbau eingesetzt werden“, erklärt Manuel Schmidlin, Leiter Fabrikation bei Sistag. „Unsere mechanische Fertigung stellt mit rund 165 Mitarbeitern pro Jahr rund 20.000 Schieber her.“
Hoher Automatisierungsgrad
Wie viele andere Schweizer KMU hat auch Sistag mit hohen Kosten zu kämpfen. Manuel Schmidlin: „Grund und Boden sind teuer; die Personalkosten sind hoch. Wir finden überdies kaum Fachkräfte für die Produktion und bilden daher verstärkt selbst aus.“
Um die Produkte wirtschaftlich vertreiben zu können, müssen die Maschinen bei Sistag quasi non-stop laufen. „Wir haben zudem den Vorteil, im Bereich der Sonderschieber besonders stark zu sein. Und aufgrund des relativ hohen Automatisierungsniveaus können wir uns auch preislich im Markt behaupten“, so Schmidlin.
Modernisierung mit Fokus auf Digitalisierung
Die Gehäuse als Kernkomponente für die Flachplattenschieber werden auf zwei horizontalen Bearbeitungszentren gefertigt. 2005 investierte das Unternehmen in ein flexibles Fertigungssystem von Fastems, genauer in ein Multi-Level-System (MLS), an das zunächst ein Horizontal-BAZ des Typs ‘HM 630‘ von OKK angebunden wurde. 2010 wurde das System auf eine Gesamtlänge von 35 m erweitert und eine zweite typgleiche OKK-Maschine kam hinzu.
2022 entschloss sich Sistag, das MLS zu modernisieren. Hierzu Manuel Schmidlin: „Das Betriebssystem der Steuerungssoftware sowie die entsprechende Elektronik liefen noch auf 32 Bit und waren quasi End of Life. Im Zuge der Umrüstung auf ein 64-Bit-System nahmen wir dann ein komplettes Retrofit sowohl steuerungsseitig als auch mechanisch vor.“
Da Sistag außerdem seit rund vier Jahren eine konsequente Digitalisierungsstrategie verfolgt, wurde nicht nur das FFS softwareseitig mit der Manufacturing Management Software (MMS) von Fastems auf den neuesten Stand gebracht, sondern das Augenmerk insbesondere auf die Digitalisierung der gesamten Produktion gerichtet.
Nach Aussagen von Manuel Schmidlin ist das Unternehmen in seiner 60-jährigen Geschichte vor allem historisch gewachsen. Sätze wie „Das haben wir immer so gemacht“ hat der Fertigungsleiter daher schon oft gehört.
Keinen Überblick über Kapazitäten und Auslastung
Und führt aus: „Unser Projektgeschäft hat jedoch deutlich zugenommen. Wenn ein Kunde heute Schieber bestellt, dann sind das nicht drei oder vier, sondern gleich 400 oder 500. Mit unserer vorhandenen Infrastruktur konnten wir derart große Aufträge nicht von Anfang bis Ende sauber planen. So hatten wir unter anderem große Mühe, unsere Maschinenkapazitäten im Griff zu halten, da wir noch mit Listen arbeiteten und im Grunde keinen Überblick darüber hatten, was zu welcher Zeit passierte und wo die Prioritäten lagen. Unser Ziel ist es daher, mit der MMS als zentrales MES unsere gesamte Produktion zu steuern.“
‘Terra Incognita‘ der Fertigungsorganisation
Die MMS von Fastems bietet hierzu sämtliche Voraussetzungen, denn sie zählt derzeit wohl zu den leistungsfähigsten Lösungen zur Planung, Ausführung und Überwachung einer automatisierten spanabhebenden Fertigung. Die MMS plant unter anderem mit Systemen wie das MLS automatisch die Produktion bis zu 96 Stunden im Voraus und berücksichtigt hierbei sämtliche erforderlichen Ressourcen, wie etwa Rohmaterialien, NC-Programme und Werkzeuge inklusive deren Standzeiten.
Digitale Planung der nicht-automatisierten Fertigung
Manuel Schmidlin weiß allerdings nur zu gut, dass für eine durchgängig planbare Fertigung auch Stand-Alone-Maschinen, manuelle Arbeits- und Prüfplätze et cetera in die Digitalisierung einbezogen werden müssen. Keine einfache Aufgabe, denn diese Bereiche sind bislang oftmals noch eine ‘Terra Incognita‘ der Fertigungsorganisation.
Das soll sich bei Sistag allerdings mit der Implementierung des MMS-Softwaremoduls ‘WCO‘ ändern. „Wir wollen den gesamten Produktionsfluss in der MMS abbilden und hierbei jeden einzelnen Schritt, vom Zuschnitt auf einer Lasermaschine, über das Hobeln, Fräsen, Bohren und Schleifen, bis hin zur Qualitätsprüfung mit einbeziehen“, so Schmidlin. Und WCO spielt hierbei eine entscheidende Rolle.
WCO steht für Work Cell Operations (Arbeitszellen-Operationen) und ist eine Lösung mit der sich auch nicht-automatisierte Maschinen und Arbeitsprozesse digitalisieren lassen. Das Modul ermöglicht es hierbei unter anderem, die Kapazitäten und Arbeitsreihenfolgen von Einzelmaschinen sowie Arbeitseinheiten (Zellen) zu organisieren und deren Auslastung zu erfassen. WCO integriert für Einzelmaschinen eine NC-Programm- und Werkzeugverwaltung, wobei sich die Software sowohl als eigenständige Lösung als auch in Kombination mit einer Paletten- oder Teileautomatisierung einsetzen lässt. In einem ersten Schritt plant Sistag die Implementierung von insgesamt acht WCOs. Weitere sollen folgen.
Manuel Schmidlin vermittelt einen konkreten Eindruck von den Potenzialen des MMS-Moduls: „Jedes WCO steht für eine Stand-Alone-Maschine oder einen Arbeitsplatz, wobei sich auch mehrere Maschinen in einem WCO gruppieren lassen. So haben wir beispielsweise die Drehmaschinen einer Abteilung in einem WCO zusammengefasst. Innerhalb der WCO-Gruppierungen können wir dennoch die Aufgaben an jeder Maschine verteilen und koordinieren. Alle weiteren netzwerkfähigen Stand-Alone-Maschinen werden ebenfalls direkt mit der MMS verbunden. Darüber hinaus haben wir aber auch ältere Maschinen, wie etwa Metallhobel, die sich als vergleichsweise einfache Fertigungslösungen ebenfalls für die Einbindung in die Gesamtorganisation mit den WCOs anbieten. Weil die Maschinen nicht netzwerkfähig sind, erhalten die Mitarbeiter ein Tablet, um die erforderlichen Produktionsdaten und Infos an die MMS zu übertragen.“
„Das liefert kein ERP-System“
Die MMS plant mit den WCOs auf Basis der Auftragsdaten aus dem ERP-System, ähnlich wie für das FFS, automatisch die Produktion in den einzelnen Abteilungen und vergibt anhand der Endtermine Prioritäten. Die Mitarbeiter an den Maschinen erhalten dann digitale Listen, die sie gemäß den Prioritäten abarbeiten können. Die entsprechenden Rückmeldungen an die MMS, etwa wann eine Maschine gerüstet wird oder ein Fertigungsauftrag startet, erfolgen entweder direkt von einer netzwerkfähigen Maschine oder in den anderen Fällen über die Tablets.
Hohe Transparenz über die gesamte Produktion
„Wir bleiben hierbei stets flexibel“, betont Schmidlin, „denn ich kann einzelne Aufträge umschichten und neue Prioritäten vergeben, falls erforderlich. Das war früher so nicht möglich. Ich sehe hierbei jederzeit die gesamte Produktionsplanung und die Fortschritte, die Auslastung der Maschinen und welche Aufträge als nächstes kommen, also sämtliche organisatorisch relevanten Informationen und Daten, die ein ERP-System in dieser Form nicht liefern kann.“
Damit die Digitalisierungsstrategie mit der MMS und den WCOs wirklich greift, muss aus Sicht des Fertigungsleiters jedoch wesentlich früher angesetzt und zunächst im ERP-System „aufgeräumt“ werden, um alle erforderlichen Informationen in korrekter Form an die MMS zu übertragen.
Zusammenspiel von ERP und MMS
„Das hat schon eine Weile gedauert“, gesteht Schmidlin. „Aber die Mühe lohnt, denn wir erhalten ein immens hohes Maß an Transparenz mit detaillierten Daten, selbst über nicht-automatisierte Maschinen und Prozesse. Ein besonderer Vorteil ist in diesem Zusammenhang zudem, dass wir vom MMS zum ERP nur eine einzige Schnittstelle benötigen, wobei die MMS dann als MES fungiert. Mit Blick auf das weiterhin wachsende Projektgeschäft ist das ein riesiger Fortschritt, weil wir über eine hohe Informationsdichte mit validen Betriebsdaten verfügen, die es uns wiederum ermöglichen, genauer zu kalkulieren, sodass wir gegebenenfalls die Stammdaten im ERP anpassen können, wenn diese nicht übereinstimmen.“
Weitere Investitionen geplant
Flankiert wird die Digitalisierungsstrategie durch den weiteren Ausbau der Automatisierung, zum Beispiel im Dezember 2023 durch einen ‘FPC-3000‘ (Flexible Pallet Container) von Fastems. Parallel hierzu investiert Sistag in eine weitere OKK, denn Maschinen ohne Automatisierung soll es in der Fertigung zukünftig nicht mehr geben.
„Vielfach haben Unternehmen mit einer Automatisierung von Fastems und der MMS schon eine Lösung, die hinsichtlich der Fertigungstransparenz keine Wünsche offenlässt. Sie vergessen hierbei aber sämtliche Fertigungskapazitäten im Umfeld der Automatisierung. Wir haben das erkannt. Schon heute sind wir mit weniger Maschinen und Mitarbeitern deutlich produktiver. Und die stetig wachsende Transparenz versetzt uns in die Lage, die vollständige Fertigung sehr gezielt zu optimieren“, so das Fazit von Manuel Schmidlin.
Information & Service
Anwender
Sistag AG
CH-6274 Eschenbach
Tel. +41 41 4499944
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ANBIETER
Autor
Martinus Menne ist freier Fachjournalist in Drolshagen